Österreich-Ungarn (2002)

In 17 Tagen durch vier Länder

Die Südmährische Sing- und Spielschar Stuttgart auf Konzertreise durch Tschechien, Österreich, Ungarn und die Slowakei

Durch vier Länder führte die Route, die die Südmährische Sing- und Spielschar Stuttgart für ihre gut zweiwöchige Konzertreise im August 2002 gewählt hatte: durch Tschechien, Österreich, Ungarn und die Slowakei. Alle diese Länder waren einst Bestandteile des multinationalen Habsburger-Reiches,und ihre Geschichte und Kultur sind vom Austausch und vielfältigen Wechselwirkungen stärker geprägt als von Abgrenzung und Nationalismus, die im 20. Jahrhundert diese fruchtbare Symbiose zu zerstören suchten.

Das Repertoire der Spielschar für die Tournee spiegelte die kulturelle Vielfalt der böhmischen Länder wider. Es umfaßte Chorlieder von Werner Gneist und Widmar Hader, südmährische Volkslieder und jiddische Volkslieder in Sätzen von Viktor Ullmann (1898 im sudetenschlesischen Teschen geboren, 1944 in Auschwitz ermordet) sowieInstrumentalmusik für Blechbläser, Blockflöten und Streicher von Gottfried Finger, Johann Caspar Ferdinand Fischer und Ferdinand Kauer. Zum Tanzprogramm gehörten der Kontratanz „Die Harlekine“ (1790 bei einem Staatsbesuch im Lichtenstein’schen Schloß in Feldsberg zum ersten Mal aufgeführt) und die „Beseda“ sowie der „Webertanz“ und der „Znaimer Keltertanz“. Eine Referenz an die Gastgeber waren das ungarische Volkslied „Kocsi, szekér“ in einem kunstvollen Satz von Lajos Bárdos (1899-1986) und das slowakische Volkslied „Vrtsa děvča“.

Die erste Station der Reise war Prag. Hier gab die Spielschar ein gemeinsames Konzert mit dem tschechischen Frauenchor Adash. Tomaš Novotny, zugleich Theologe und Musiker, hat diesen Chor gegründet und in kurzer Zeit zu einem hervorragenden Ensemble geformt, das in den wenigen Jahren seines Bestehens bereits zahlreiche Konzertourneen unternommen und drei CDs eingespielt hat. Der Chor singt hebräische und jiddische Gesänge in kunstreichen und wirkungsvollen Sätzen von Tomaš Novotny. Diese Chorwerke bildeten den ersten Teil des gut besuchten Konzertes in der Methodisten-Kirche im II. Prager-Bezirk. Im zweiten Teil präsentierte die Spielschar die Höhepunkte ihres Programms mit jüdischer Musik aus den böhmischen Ländern: synagogale Gesänge böhmischer und mährischer Kantoren, „Horra-Nigunim“ für Flöte, Streicher und Fagott von Widmar Hader (als tschechische Erstaufführung) sowie vier jiddische Lieder von Viktor Ullmann. Von Prag ging es über Südmähren (mit einem Zwischenhalt in Nikolsburg) weiter nach Poysdorf in Niederösterreich. Dorthin war die Spielschar von Reiner Elsinger, dem Obmann des Kulturvereins Südmährerhof eingeladen worden. Im Reichensteinhof in Poysdorf konnte sich die Spielschar bei ihrem Konzert über den Besuch zahlreicher südmährischer Landsleute freuen. Auch Ilse Tielsch, die berühmte südmährische Dichterin, war gekommen und schenkte der Spielschar nach dem Konzert ein antiquarisches Buch mit Österreichischen Volksliedern, gesammelt von dem Schubert-Freund Anton Ritter von Spaun.

Beim Besuch des Südmährerhofes in Niedersulz lernte die Spielschar unter der kundigen Führung von Reiner Elsinger viel Wissenswertes über Kultur und Geschichte unserer Heimatregion und bestaunte die umfangreichen und imposanten Exponate und Räumlichkeiten. Eine hervorragende Weinprobe im Weingut Schuckert rundete den Poysdorf-Aufenthalt und damit den Besuch in Niederösterreich ab. In Ungarn war die malerische Stadt Ödenburg (Sopron) das erste Ziel der Spielschar. Der engagierte Paneuropäer Dr. Laszlo Kertesz hatte für die Spielschar ein Open-air-Konzert auf dem Hauptplatz (F? tér) organisiert. Bei strahlendem Sonnenschein präsentierte die Spielschar die Höhepunkte ihres Tournee-Programms vor einem großen Publikum (darunter auch der Bürgermeister sowie die Kamerafrau und die Redakteurin eines Online-Magazins). Beim anschließenden Empfang im Rathaus begrüßte Bürgermeister Dr. Szabolcz Gimesi die Spielschar herzlich in seiner Stadt und bedankte sich für das abwechslungsreiche Konzert. Auch der Repräsentant der deutschen Minderheitenverwaltung in Ödenburg war zu dem Empfang geladen.

Am Plattensee (Balaton) genoß die Spielschar das Baden im flachen Wasser – gab aber in Siofók, der Geburtsstadt des Operettenkomponisten Emmerich Kalman, auch ein Konzert: im Saal des Best Western Hotels Magistern. Vom Plattensee ging es weiter in den Süden Ungarns: Fünfkirchen (Pécs) war die nächste Station der Reise. Der Aufenthalt war von Johann Habel vom Kulturverein Nikolaus Lenau organisiert worden und begann mit einem Konzert im Rahmen der „Musikabende in der bischöflichen Burg“. Im schönen Ambiente der Gartenanlagen der bischöflichen Residenz fanden die Darbietungen der Spielschar eine sehr positive Resonanz, und auch die lokale Presse berichtete über das Konzert.

Bei einem längeren Stadtrundgang konnte die Spielschar – leider bei strömendem Regen – die zahlreichen Sehenswürdigkeiten Fünfkirchens bewundern: vom Dom über die römischen Ausgrabungen und die Bauwerke aus der Türkenzeit bis zu den Jugendstil-Prachtbauten der Donau-Monarchie.

Ein Ausflug führte die Spielschar von Pécs aus in den Kurort Harkány, in dem sich – dank der örtlichen Schwefelquellen – eines der bekanntesten Thermalbäder Ungarns befindet. Die Südmährische Sing- und Spielschar trat im Rahmen des Kulturprogramms des Heilbades auf: auf einem Platz vor dem großen Schwimmbecken mit Schwefelwasser. Vom Wasserbecken (und teilweise auch vom festen Ufer) aus genossen einige hundert Badegäste bei sonnigem Wetter Tänze, Lieder und Instrumentalstücke der Spielschar. Budapest war nun das nächste Ziel. Über die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der ungarischen Hauptstadt verschaffte eine Stadtrundfahrt einen ersten Überblick mit den Stationen Burg undGellért-Berg in Ofen (Buda) sowie Heldenplatz und Burg Vajdahunyad in Pest. In der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Elisabeth in Budapest übernahm die Spielschar die musikalische Gestaltung der Messe. Insbesondere das Ensemble für Alte Musik fand bei den Gottesdienstbesuchern großen Anklang. Beim anschließenden Gemeindekaffee ergaben sich schöne Gespräche mit den Gemeindemitgliedern, die zum Teil Ungarndeutsche und zum Teil nur zeitweise in Budapest lebende Deutsche sind.

In das ungarndeutsche Dorf Mány führte die Spielschar ein Ausflug von Budapest aus. Aus Mány stammt der Vater des Spielschar-Mitglieds Marianne Spinzig; letztere hatte für die Spielschar ein schönes Programm in Mány organisiert, das mit Kaffee und Kuchen im Leimen-Haus begann (Leimen ist die Partnerstadt Mánys). Auf dem Vorplatz des Leimen-Hauses begann das abendliche Konzert mit ein paar Stücken der örtlichen Jugendblaskapelle als Willkommensgruß für die Spielschar. Die Darbietungen der Spielschar stießen bei dem dicht gedrängten Publikum (es regnete in Strömen, so daß alles auf die überdachte Terrasse drängte) auf großen Applaus. Nach dem Konzert war die Spielschar noch zu Rehgulasch, Hauswein und Selbstgebranntem bei einem Preßhaus eingeladen. Nagymaros am Donauknie war die letzte Station in Ungarn. Die dortige Kalman-Kittenberger-Grundschule nimmt seit zehn Jahren am Gastschülerprogramm der DJO-Deutsche Jugend in Europa Baden-Württemberg teil. So vermittelte Uli Hüttl, der Koordinator dieses Programms seitens der DJO, der Spielschar einen zweitägigen Aufenthalt in der Kleinstadt gegenüber der Burg Visegrád. Die engagierte Organisatorin in Nagymaros war die Deutschlehrerin Kati Heincz.

Das Konzert im Kulturhaus begann mit einer Begrüßung auf deutsch und ungarisch durch einige Schüler der Grundschule. Das Konzert erhielt seinen Reiz nicht zuletzt aufgrund der äußeren Umstände: Schon vor dem Konzert war der Strom im Kulturhaus ausgefallen – und erst kurz vor dem Beginn konnte der Defekt behoben werden. Nach etwa zwanzig Minuten fiel jedoch – mitten im Kontratanz „Die Harlekine“ – erneut der Strom aus. Schnell waren Kerzen zur Hand, die von den gerade nicht aktiv beteiligten Spielschärlern zu den Tänzern auf die Bühne und den Streichern davor gebracht wurden, die – den schummrigen abendlichen Lichtverhältnissen zum Trotz – inzwischen seelenruhig weitergetanzt und gespielt hatten. Bei Kerzenlicht fand der Tanz seine Fortsetzung – und auch die „Ungarischen Tänze“ und die „Beseda“ wurden in diesem romantischen Ambiente gegeben. Während des folgenden Chorblocks war dann die Stromversorgung wieder intakt, so daß das Konzert mit elektronischerBeleuchtung(und begeistertem Applaus) endete. Am folgenden Tag erkundete die Spielschar mit Kati Heincz die Umgebung von Nagymaros. Die Fähre zum am anderen Ufer liegenden Visegrád war leider aufgrund des Hochwassers nicht benutzbar. So ging es gleich ins Freilichtmuseum Skanzen nach Szentendre – dort sind die verschiedenen dörflichen Siedlungsformen Ungarns originalgetreu nachgebaut. Nach einem Bummel durch die Innenstadt von Szentendre fuhr die Spielschar zurück nach Nagymaros, wo sie ein Begegnungsabend mit den privaten Gastgebern und zwei örtlichen Gruppen erwartete: mit dem Männergesangsverein Nagymaros und mit der Damen-Tanzgruppe „Die Blumen“. Ein leckeres Büffet, wechselchörige Gesänge, gemeinsamer Tanz und angeregte Gespräche sorgten für einen wunderbaren Abend.

Nun hieß es Abschied nehmen von Nagymaros – und von Ungarn. Unterwegs in Richtung Slowakei gab es noch Gelegenheit, die Kathedrale von Gran (Esztergom) und die Innenstadt von Raab (Gy?r) zu besichtigen. Abends erreichte die Spielschar Preßburg (Bratislava), die slowakische Hauptstadt (die als Pozsony über drei Jahrhundert auch ungarische Hauptstadt gewesen war). Hier hatte der Generalsekretär der slowakischen Paneuropa-Union das Programm für die Spielschar organisiert. Ihr letztes Konzert auf der Tournee gab die Spielschar auf einer Freilichtbühne im Stadtteil Ružinov. Bei einer ausführlichen und hochinformativen Stadtführung konnte die Spielschar von der Burg aus auch die Schäden sehen und erahnen, die das Donau-Hochwasser in Preßburg angerichtet hat. Mit einem positiven Resümee machte sich die Südmährische Sing- und Spielschar auf die Heimreise von Preßburg nach Stuttgart –sie hatte zehn überwiegend sehr erfolgreiche Auftritte und gewann bei ihrer Reise durch vier Länder in siebzehn Tage ein Bewußtsein für die kulturellen Gemeinsamkeiten dieses mitteleuropäischen Raumes.